Startphase eines Gesundheitsprojekts in Sierra Leone

Reisebericht vom 12.04.2010

„Wir müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.“
Mahatma Gandhi

„Indirei“ heißt „guten Morgen“ in der ethnischen Sprache Temne, die im Distrikt Bombali im Landesinneren von Sierra Leone gesprochen wird. Dort habe ich zusammen mit drei deutschen Begleiterinnen, die zum ersten Mal in Sierra Leone waren, zwei Wochen mit intensiver Arbeit verbracht und dabei Erfahrungen gemacht, die wir alle nicht mehr missen möchten.

Ziel dieser Reise war, in zwei abgelegenen Dörfern den Gesundheitszustand der dort lebenden Menschen zu erkunden, erste Hilfe zu leisten und eine Planungsgrundlage für eine Verbesserung der Gesundheitssituation für die nächsten Jahre zu erstellen.

Schon am Ende unseres ersten Arbeitstages war uns klar, dass wir unser ursprüngliches Konzept korrigieren müssen: Die geplante stationäre Erste-Hilfe-Station kann vorläufig noch nicht eingerichtet werden, weil es noch kein geeignetes festes, sicher abschließbares Haus gibt. Aus dem täglichen engen Kontakt mit der Dorfbevölkerung erwuchs in wenigen Tagen unser Alternativkonzept.

Die Dörfer waren nicht zufällig ausgewählt. Ich kannte sie bereits von meinen drei vorherigen Reisen ins Land. Dort befinden sich zwei Betriebe der Elisabeth Agricultural Farmers Association, und die Dorfbewohner leben mit ihren Familien von der Arbeit auf den Farmen. Ich bin dort bereits gut bekannt, was uns die Türen bereitwilligst öffnet.

Die nächste Kleinstadt Makeni ist ca. 25 km entfernt. Dort gibt es einen Arzt und ein Krankenhaus. Jedoch können die Dorfbewohner kaum dorthin gehen – im wahrsten Sinne des Wortes -, denn sie haben keine Fahrzeuge und v. a. haben sie nicht das Geld, das vor jeder Behandlung fällig ist, um überhaupt angenommen zu werden.

Meine drei Begleiterinnen sind Anette Schultz aus Bielefeld, Renate Blum aus Bonn und Barbara Böttcher aus Konstanz. Alle drei sind erfahrene selbstständige Heilpraktikerinnen bei „Homöopathen ohne Grenzen“, die ihren Urlaub für diesen Einsatz geopfert  haben. Wir übernachten in einem Hotel in Makeni und werden morgens von unserem einheimischen Fahrer John und dem Chef der EAFA, Yembeh Mansaray, abgeholt. Zuerst ist die Straße asphaltiert, die letzten Kilometer sind unbefestigte Piste. Der Fahrer braucht viel Geschick, das Fahrzeug unbeschadet um Schlaglöcher und tiefe Gräben, die durch starke Regengüsse entstanden sind, zu chauffieren. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass man in der Regenzeit von April bis Sept./Okt. das Dorf erreichen kann
Als wir im Dorf ankommen, stockt uns fast der Atem: Unzählige Menschen erwarten uns und es wird uns gesagt, dass sie alle gekommen sind, um  unsere „Sprechstunde“ aufzusuchen. Von vorn herein ist klar, dass nicht alle an einem Tag drankommen können.

Es hat bereits 30° im Schatten, wir werden in einen Rohbau geführt, bestehend aus Wänden, Wellblechdach, leere Fenster- und Türöffnungen.  Ein geeigneteres Gebäude gibt es im Dorf nicht, wie wir bald sehen.

Aus den umliegenden Hütten und bescheidenen Häuschen werden 3 Tische, Stühle und Bänke gebracht. Jeder Tisch wird mit einer schönen Tischdecke versehen. Das sind unsere 3 „Behandlungszentren“. Den umherliegenden Bauschutt und Staub nehmen wir schon nach kurzer Zeit nicht mehr wahr.

Jede Heilpraktikerin nimmt an einem Tisch Platz, dazu kommt ein Dolmetscher an jedem Tisch, denn wir beherrschen die Stammessprache Temne nicht. Wir eignen uns einige grundlegende Ausdrücke zur Begrüßung, Bitte, Dank und Verabschiedung an.

Es wird von Temne in Englisch und umgekehrt übersetzt. Die Dolmetscher sind Lehrer aus den umliegenden Schulen. Das hat den großen Vorteil, dass sie uns die Lebensverhältnisse immer wieder erläutern können.

Der Schulleiter der Dorfschule hat eine mehrseitige Patientenliste angelegt und sorgt mit ein paar Helfern dafür, dass der Tag einigermaßen geordnet ablaufen kann. Immer wieder schwillt der ohnehin hohe Geräuschpegel um das Gebäude zu lautem Streit über die Reihenfolge an.

In der zweiten Woche sind wir im nächsten Dorf. Dort gibt es einen überdachten Versammlungsplatz, wo unsere drei Behandlungszentren eingerichtet werden. Die „Halle“ ist nach drei Seiten offen, so dass es ein wenig luftiger ist. Ansonsten ist der Andrang der Menschen, die teilweise von weither gekommen sind, täglich noch größer.

Die Rat und Hilfe suchenden Patienten sind ein Querschnitt der gesamten Bevölkerung: Frauen und Männer, Hochbetagte, Mütter mit Babys, oft auch mit der gesamten Kinderschar.

Fast alle haben Malaria, Husten, durch Parasiten hervorgerufene Krankheiten, Würmer, Hautkrankheiten, unablässige Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen. Wir sehen viele Augenerkrankungen, oft hervorgerufen durch das tägliche Holzkohlenfeuer zum Kochen und durch Unterernährung, viele Leisten- und Hodenbrüche, schlecht versorgte Wunden, Kriegsverletzungen, die nie wirklich behandelt wurden, Spätfolgen von Gonorrhö, Elefantiasis, Lähmungen, Beschwerden durch Beschneidung der Frauen, …

Erschreckende Folgen durch „Behandlungen“ von Heilern werden uns verzweifelt gezeigt, so z.B. ein Junge mit schwersten Verbrennungen im Gesicht, weil ihm ein „Heiler“ den Kopf in kochendes Wasser tauchte, um seine Epilepsie zu heilen. Einige Menschen haben keine Haare mehr oder nur noch Haarinseln auf dem Kopf, da ihre Kopfschmerzen mit Säure „weggeätzt“ werden sollten.

Die Hilfesuchenden erhalten homöopathische Medikamente bzw. eine ordentliche Wundversorgung. Die Materialien haben wir aus Deutschland im Container schicken lassen und bringen sie täglich im Auto zu unserem Einsatzort.

Die drei Heilpraktikerinnen arbeiten täglich bis zur Erschöpfung, unter primitivsten Bedingungen, ständig nass geschwitzt; täglich hat es ab mittags 38° im Schatten (Spitzenwert an einem Nachmittag 40°).

Ich selbst finde meine Aufgabe in den verschiedensten Handreichungen bei den drei Arbeitsgruppen, als Übersetzungshelferin und v.a. beim Dokumentieren.

Die vielen, vielen wartenden, z.T. verzweifelten Menschen lassen uns trotz der unerträglichen Hitze nicht erlahmen, immer wieder den Schweiß und den Schmutz abzuwischen und noch einen Mann, noch eine Frau oder ein Kind anzunehmen. Die Menschen sind in einem bei uns unvorstellbaren Maße bitter arm. Und doch wird uns manchmal abends ein lebendes Huhn als Dankgeschenk überreicht – welche Kostbarkeit in diesen ärmlichen Verhältnissen!

Es fällt uns auf, dass die Menschen fürsorglich miteinander umgehen, die alten Menschen haben ihren Platz in der Familie und sind sehr angesehen in der Gemeinschaft. Die Kinder lassen sich gern fotografieren und wollen die weißen Frauen alle einmal berühren. Immer wieder habe ich die sanften Finger in meinem Rücken gespürt, und sobald ich im Dorf unterwegs war, hingen an jeder Hand mehrere Kinder.

Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit müssen wir jeden Abend die asphaltierte Straße erreicht haben. In Makeni werden wir zuerst ins Haus unserer einheimischen Köchin gefahren. Dort steht Wasser in einer Schüssel, Seife und ein Handtuch bereit zum Händewaschen. Dann gibt es afrikanisches Essen, das wirklich lecker ist und das uns auch gut bekommt. Meist gibt es Reis, Kassawa, Gemüse, Hühnerfleisch, auch mal Innereien, sehr würzig und schmackhaft zubereitet. Einmal gibt es köstlichen gegrillten Fisch. Kokosnussfleisch oder Mangos beschließen das Essen – und dann dürfen wir endlich ins Hotel zum Duschen! Meist ist es danach schon 21 Uhr und wir treffen uns noch einmal, um Medikamente und Material für den nächsten Tag vorzubereiten und die aufregendsten „Fälle“ des Tages zu besprechen.

MitarbeiterInnen von anderen Hilfsorganisationen aus Kanada, Wales, England, USA, … sind ebenfalls im Hotel, so dass hier noch Kontakte geknüpft und wertvolle Infos ausgetauscht werden.

Wir freuen uns sehr, wenn die Klimaanlage wenigstens hin und wieder funktioniert (der Stromgenerator dafür wird sehr sparsam eingesetzt, da Diesel verhältnismäßig teuer ist), damit uns ein paar Stunden erholsamen Schlafs gegönnt sind.

Wir wollen – ja, wir können uns gar nichts anderes vorstellen als wiederzukommen und weiterzumachen.

Unser Konzept sieht vor, dass in den nächsten 2 – 3 Jahren ca. 3-mal pro Jahr ein kleines Team von uns geeignete Bewohner der Region in erster Hilfe und in einfachen Gesundheitsmaßnahmen schult. Die Schulung schließt mit einer Prüfung ab. Für bestandene Prüfungen wird ein Zertifikat ausgestellt.

Die dann ausgebildeten Menschen haben durch die erworbene Qualifikation eine Einkommensmöglichkeit und manche können evtl. als Multiplikatoren wirken, indem sie ihr Wissen weitergeben.

Personelle Unterstützung erhält der „Verein Sierra Leone Baden-Württemberg“ durch den in solchen Projekten bereits erfahrenen Verein „Homöopathen ohne Grenzen“.

Wochenendausflug
Am Wochenende wird nicht gearbeitet. Wir sind eingeladen ins etwa 40 km entfernte Städtchen Magburaka. Dort findet die offizielle Einweihungsfeier statt für die seit Dez. 2009 installierte Solarstromanlage in der Boys Secondary School , die unser „Verein Sierra Leone Baden-Württemberg“ gespendet und installiert hat (s. Bericht v. 12.02.10 in EZ, Bei uns).

Die Schülermusikkapelle empfängt uns schon im Ort und geleitet uns mit schwungvollen Melodien zum Schulgelände. Der Deutsche Botschafter, Herr Freudenhammer, ist Ehrengast und hält die Festrede.

Im Jahr 2005 habe ich diese im Bürgerkrieg stark zerstörte Schule erstmals besucht. Nunmehr sind fast alle Gebäude wieder aufgebaut, das Internat mit ca. 500 Plätzen ist wieder in Betrieb. 1500 Schüler besuchen diese bedeutende Sekundarschule, die in Handwerksberufen ausbildet und auch Erwachsenenbildung anbietet.

Der „Verein Sierra Leone Baden-Württemberg e.V.“ finanziert alle Projekte über die Mitgliedsbeiträge (€ 20,- pro Jahr) und über Spenden. Die Reisekosten zu den Projekten werden von den Mitarbeitern selbst getragen.

Über Spenden für das Gesundheitsprojekt würden wir uns sehr freuen: H + G Bank Heidelberg, Kontonr. 611 49 406, BLZ 672 901 00, siehe auch Seite “Spenden und Mitgliedschaft”.

Für jede Spende wird eine steuerlich abzugsfähige Spendenbescheinigung ausgestellt.

12.04.2010   Ursel Röckle

Spenden & Mitgliedschaft
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